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Einsatz für Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde

Anlässlich des Jahrestages des Grundgesetzes richtete die Veranstaltung ‚„… oder kann das weg?‘ Grundgesetz – Menschenwürde – Asylrecht“ in der Evangelischen Akademie Frankfurt den Blick auf die aktuelle Asyl- und Migrationspolitik und die mit ihr verbundene Aushebelung internationaler und europäischer Rechtsnormen und Grundrechte. Zu Gast Prof. Dr. Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin und Vertreter:innen von Kommunen aus Hessen und Rheinland-Pfalz.

Andreas Lipsch, Interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und Leiter der Abteilung Flucht, Interkulturelle Arbeit, Migration (FiAM) der Diakonie Hessen begrüßte die rund 80 Teilnehmenden mit einem klaren Votum: „Keiner der zentralen Werte des Grundgesetzes darf infrage gestellt und politischen Kalkülen geopfert werden. Das Asylrecht ist eine der wichtigsten menschenrechtlichen Errungenschaften – nichts davon kann weg.“

Ziviler Grund- und Menschenrechtsgehorsam

Lipsch plädierte für einen „zivilen Grund- und Menschenrechtsgehorsam“. „Wenn staatliche Gewalt die Würde des Menschen nicht mehr hinreichend achtet und schützt, werden zivilgesellschaftlicher Widerspruch und eigener Einsatz notwendig.“ Die politische Entwicklung zeige, dass nicht nur in der AfD und bei rechtsextremen Gruppen, sondern auch in der sogenannten „demokratischen Mitte“ Grund- und Menschenrechte nicht mehr nur mit Worten infrage gestellt würden, sondern auch mit Taten. „Die neue Bundesregierung ist mit ihrer Zurückweisungsoffensive an den deutschen Grenzen entschlossen, geltendes Recht einfach nicht zu beachten – genauer gesagt: es zu brechen.“

Dass die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention hinterfragt und ausgehöhlt werden, griff auch Karl Kopp von Pro Asyl auf und machte deutlich, dass die Zurückweisung an den EU-Außengrenzen täglich Menschenleben koste. „Sie wählen den gefährlichen Weg über das Mittelmeer und ertrinken. Wir sprechen nicht von Zahlen, sondern von Menschen. Das dürfen wir nicht vergessen.“

Asylrecht ist Menschenrecht

Gastrednerin Prof. Dr. Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin, betonte, dass Grund- und Menschenrechte den Rechtsstaat ausmachten und nicht in Frage gestellt werden dürften. „Dies wird aber gerade in der aktuellen Asylpolitik getan“, sagte Rudolf. Der Vorschlag, das individuelle Recht auf Asyl durch Kontingente oder Ressettlementprogramme zu ersetzen, widerspreche dem Menschenrecht auf Asyl.

In ihrem Vortrag „Der demokratische Rechtsstaat unter Druck – warum das Asylrecht exemplarisch ist und was wir tun können“ plädierte sie dafür, dass gerade in Zeiten einer politischen Weltlage, „in der die USA als Vertreter von Menschenrechten ausfällt, Russland Völkerrechte mit Füßen tritt und China eine Weltordnung ohne Menschenrechte anstrebt, es umso wichtiger ist, dass Europa und allen voran Deutschland dieses hohe Gut der Menschenrechte achtet und verteidigt.“

Wenn Gerichtsentscheide missachtet werden, gefährdet das den Rechtsstaat“ 

Die Juristin warnte davor, dass Gerichtsentscheide missachtet und nicht umgesetzt werden. Die Exekutive müsse eigentlich sicherstellen, dass Gerichtsbeschlüsse befolgt werden. „In der Realität werden jedoch rechtlich umstrittene Maßnahmen erstmal angewendet und erst dann wird geschaut, was die Gerichte dazu sagen. Damit entzieht sich die Exekutive ihrer Verantwortung.“ Als Beispiel nannte Rudolf die Kürzung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Die Leistungen müssten existenzsichernd sein, alles andere sei verfassungswidrig.

„Auch die Auslagerung von Asylverfahren in Zentren an den EU-Außengrenzen oder die Übertragung von Asylverfahren an Drittstaaten ist europarechtswidrig und bereits in Italien an den Gerichten gescheitert“, sagte Rudolf. Das Ziel solcher Symbolpolitik sei einzig und allein, Schutzsuchende aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. Vorteile gebe es keine, denn gerade die Übertragung an Drittstaaten sei mit immensen Kosten verbunden. „Mit diesem Geld könnten Kommunen eine gute Integrationsarbeit leisten“, so Rudolf.

Recht auf Familennachzug erhalten

Kritik übte die Institutsleiterin auch an der Aussetzung des Familiennachzugs von Menschen mit subsidiärem Schutzstatus. Hier werde das Recht auf Familie geopfert für politische Symbolpolitik. „Letztlich geht es um die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Ich möchte in einer solidarischen Gesellschaft leben, in der Menschlichkeit zählt“, sagte Rudolf. „Dafür braucht es eine starke Zivilgesellschaft, die Widerstand leistet, wo der Rechtsstaat und die Menschenrechte missachtetet werden.“

Dem Impulsvortrag folgten zwei Workshops:


Panel 1

Erlauben statt drangsalieren – Die Aufnahme von Ukraine-Flüchtlingen als best practice
 
- Andrea Kothen, Pro Asyl
- Prof. Dr. Yuliya Kosyakova, Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB)
- Moderation: Doris Peschke 

Panel 2
Bleiberecht statt Abschiebung – Wege öffnen aus der Ausreisepflicht

- Timmo Scherenberg, Hessischer Flüchtlingsrat
- Stadträtin Milena Löbcke, Dezernentin für Integration und Recht, Gesundheit und Tierschutz, Wiesbaden
- Moderation: Lea Rosenberg

Was können Kommunen tun?

Über „Handlungsmöglichkeiten von Kommunen angesichts der Migrationspolitik auf Bundes- und EU-Ebene“ diskutierten am Nachmittag die Wiesbadener Stadträtin Milena Löbcke, Dezernentin für Integration und Recht, Gesundheit und Tierschutz, Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, Marburg und Dr. Dominique Gillebeert von der Stabsstelle für Vielfalt und Chancengleichheit aus Ingelheim am Rhein.

Sinnvolle Regelungen statt Panikmache

Im Hinblick auf die Migrationspolitik erklärte Spies: „Bundes- und Landespolitik müssen aufhören, Panikmache zu betreiben.“ Vor Ort finde man gute Lösungen für und mit Geflüchteten. „Die Kommunen brauchen allerdings mehr Spielraum für Entscheidungen.“ Die Behauptung, dass Kommunen keine Geflüchteten mehr aufnehmen könnten, wies der Oberbürgermeister zurück. Marburg würde auch mehr Geflüchtete aufnehmen, sie  könnten auch unterbringen werden, allerdings müsse die finanzielle Ausstattung anders geregelt werden. „Wir wünschen uns EU-Fonds, mit denen Geflüchtete finanziert werden bis sie im Arbeitsmarkt Fuß gefasst haben“, sagte Spies. „Kommunen brauchen eine bessere Ausstattung und einen Abbau von Bürokratie.“ Deutlich sprach sich Spies für den Erhalt des Asylrechts aus.

Klares NEIN zur Bezahlkarte

Auch Milena Löbcke kritisierte die Stimmungsmache gegen Geflüchtete auf Landes- und Bundesebene. „Wir brauchen rechtmäßige und sinnvolle Regelungen für die Kommunen statt einer Bezahlkarte.“ Die Entscheidung, die Bezahlkarte einzuführen, sei für Kommunen nicht nachvollziehbar. Es gebe nur wenige Geflüchtete, die Geld ins Ausland schickten. „Hier wird eine rechte Erzählung aufrechterhalten, die für Kommunen mit einem unglaublichen Verwaltungsaufwand verbunden sind.“

Leistungsausschluss ist verfassungswidrig

Auch den kompletten Leistungsausschluss für sogenannte Dublin-Fälle verletze Grundrechte und verstoße gegen europäisches Recht. Nach einer Neuregelung im Asylbewerberleistungsgesetz sind Geflüchtete, für deren Asylverfahren nach EU-Recht (Dublin-Verfahren) ein anderer EU-Staat zuständig ist, komplett von Sozialleistungen auszuschließen. Dies dränge Menschen in die Obdachlosigkeit.

Dominique Gillebeert erläuterte die Sonderregelung, die das zuständige Ministerium in Rheinland-Pfalz erlassen hat: „Dort werden Überbrückungs- und Härtefallleistungen bis zur tatsächlichen Ausreise gewährt werden. Auch Minderjährige und schutzbedürftige Personen erhalten weiterhin das physische und soziale Existenzminimum. Der Erlass bestätigt, dass der Ausschluss von Geldleistungen nicht angewendet werden darf, weil dieser verfassungs- als auch EU-rechtswidrig ist, da er gegen die EU-Aufnahmerichtlinie verstößt.“

Bleiberecht statt Abschiebungen

„Mit rechtswidrigen Gesetzen stellt Politik die Rechtstaatlichkeit infrage, das schadet auch dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft“, ergänzte Löbcke. Dass es gute Wege gibt, Menschen zu einem Bleiberecht zu verhelfen, statt sie abzuschieben, zeige das Projekt in Wiesbaden. „Menschen können über die Integration in den Arbeitsmarkt ein Bleiberecht erhalten“, erklärte Löbcke. „Das hat viele Vorteile für alle: Geflüchtete bekommen eine Perspektive, sie können sich besser integrieren, das fördert den Zusammenhalt der Wiesbadener Gesellschaft und der Arbeitsmarkt bekommt neue Arbeitskräfte.“ Auch für den kommunalen Haushalt sei dies eine finanzielle Entlastung.

Die kommunalen Vertreter:innen waren sich einig: „Unsere Kommunen wollen nicht noch mehr Abschiebungen, sondern mehr Handlungsspielraum. Denn vor Ort wissen wir, wie man gutes Zusammenleben gestaltet.

Warum trotz allem noch Hoffnung ist!

Auch wenn die Flüchtlingspolitik zunehmend von Abschottung, Begrenzung und Entmenschlichung geprägt ist, machte Torsten Jäger, Geschäftsführer des Initiativausschusses für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz, zum Ende der Veranstaltung Mut, die Hoffnung nicht aufzugeben:

Hoffen“, so sagt es der Theologe Fulbert Steffensky, „heißt handeln, als wäre Rettung möglich. Und weiter: „Es ist aber nicht ausgemacht, dass unsere Mühe zur Rettung führt.

„Ich glaube, dass heute deutlich geworden ist: Wir stehen an einer Stelle, die gut zu diesem Zitat passt: An einer Stelle, an der es – 

  • angesichts der breiten Akzeptanz oder mindestens Hinnahme von Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen, 
  • angesichts der zunehmenden Entrechtung von Schutzsuchenden in der Europäischen Union,
  • angesichts der atemberaubend schnellen „Entdemokratisierung“ von Demokratien wie z.B. der USA und Ungarn,
  • angesichts einer neuen Bundesregierung und einem Koalitionsvertrag, in dem Flüchtlingsabwehr zum Programm geworden ist, dem sich alles und alle unterzuordnen haben und 
  • angesichts des bundesweiten Erstarkens von rechtsextremen und menschenfeindlichen Parteien und Bewegungen innerhalb und außerhalb der Parlamente – 
  • längst nicht mehr ausgemacht ist, dass Rettung möglich ist.

Umso wichtiger also, Indizien dafür zu suchen, dass Rettung zwar nicht ausgemacht, aber immerhin doch möglich ist. Und dass soll am Schluss dieser Tagung erstmal meine, dann aber vielleicht auch unser aller Aufgabe sein. Ich werde jetzt also – nicht nur, aber auch unter dem Eindruck des heute innerhalb und außerhalb der Tagung Gesagten - versuchen, sehr persönlich die Frage zu beantworten, warum Rettung denn doch immerhin noch möglich sein könnte und warum deshalb trotz allem noch Hoffnung ist. 

Anschließend laden wir Euch dann dazu ein, dasselbe zu tun. Ihr könnt dazu einfach aufstehen und auf das Mikrophon warten. Wichtig ist nur, dass ihr keine „Wenns“ und keine „Abers“ dreht, sondern sehr kurz und sehr knapp sagt, worin denn Eure Hoffnung gründet.

Ich fange also mal an: Es ist trotz allem noch Hoffnung …

  • … weil seit 2013 ca. 4,5 Millionen Schutzsuchende nach Deutschland gekommen sind, sehr viele von ihnen Schutz gefunden haben, sich unsere Gesellschaft dadurch zum Positiven verändert hat und wir vieles davon möglich gemacht haben;
  • …weil dem aus dem Ruder gelaufenen Diskurs und den rechtlichen Restriktionen vor Ort oft eine gelebte und gelingende Realität des Zusammenlebens gegenübersteht;
  • … weil in Deutschland etwa 1 Mio. Menschen leben, deren Asylantrag abgelehnt wurde und von denen 80 Prozent inzwischen eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder gar die deutsche Staatsangehörigkeit haben;
  • … weil es 2025 kaum möglich ist, eine*n Mitschüler*in der eine*n Mannschaftskolleg*in abzuschieben, ohne dass sich eine Gemeinschaft für den Betroffenen stark macht und mit ihm solidarisiert;
  •  weil Kirchenasyle immer noch zu Erfolg führen und Kirchengemeinden dadurch gestärkt werden;
  • … weil wir (immer noch) so vieles tun und auf so vieles vertrauen können, um das „Unheil“ abzuwenden: wir können wählen, uns versammeln, wir können Bündnisse schließen, wir können postulieren, protestieren und lobbyieren, wir können unterstützen, stärken, begleiten, eintreten und solidarisch sein und wir können vor unabhängigen Gerichten klagen;
  • … weil wir „auf der richtigen Seite der Geschichte“ stehen und die besseren Argumente auf unserer Seite haben
  • … weil so viele aus ganz unterschiedlichen Gründen- Menschenrechte, Klima, soziale Gerechtigkeit – am Zustand der Welt vielleicht noch nicht verzweifeln, aber doch sorgenvoll in die Zukunft schauen und weil diese Menschen entweder noch nicht zusammengefunden haben oder noch sprachlos sind … und weil wir das ändern können;
  • … und zuletzt: weil es uns gibt, weil wir immer noch viele sind, weil diese Tagung stattgefunden hat und weil noch viele weitere stattfinden werden.“

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