Jugendliche und Kirche
Konfirmandenunterricht in der Schule
Doris SticklerJohannes Kalchreuter mit seinen Schülern17.02.2014 esz Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
von Doris Stickler, Evangelische Sonntags-Zeitung
Die Frage hatte er zur richtigen Zeit an die richtige Person adressiert. Der Junge, der von Johannes Kalchreuter wissen wollte, ob er auch Konfirmandenunterricht erteilt, rannte bei dem Frankfurter Schulpfarrer offene Türen ein. Jede Ethikstunde führt ihm schließlich vor Augen, wie sehr sich auch kirchenferne Jugendliche für Religion und Glauben interessieren. Da er über ein solches Angebot längst nachgedacht hatte, machte Kalchreuter nach einem Gespräch mit Dekanin Ursula Schön an der Integrierten Gesamtschule Nordend (IGS) Nägel mit Köpfen.
Nach dem Ethikunterricht gehen sie zur Taufe
Seit August 2012 versammeln sich in seinem Konfirmandenunterricht vor allem junge Menschen ohne Bindung an eine bestimmte Gemeinde. Wie etwa Merline Scheerer und Leo Weiß. In einem säkularen Umfeld aufgewachsen und nicht getauft, rief bei ihnen erst der Ethikunterricht den Wunsch hervor, sich konfirmieren zu lassen. An einen völlig fremden Gemeindepfarrer hätten sie sich mit dem Anliegen allerdings niemals gewandt.
Konfirmandenunterricht an Schule hat Vorbildfunktion
Dass ein Theologe im Rahmen seines Schulseelsorgeauftrags Konfirmandenunterricht erteilt ist ein Novum – Kalchreuter kennt jedenfalls kein vergleichbares Projekt – und könnte sich als wegweisend entpuppen. Der Schulamtsdirektor im Kirchendienst für Rhein-Main, Manfred Holtze, stuft den Vorstoß zwar eher als „Einzelfall“ ein und „nicht als Modell, das man propagieren kann“. Zumal nicht überall eine fruchtbare Kooperation mit Schulleitung und Nachbargemeinde zustande kommen dürfte. Dennoch stehe er „voll und ganz dahinter“. In Zeiten, in denen Flexibilität unumgänglich ist, habe Kalchreuters Initiative einen „hohen Anregungsgehalt“ und damit durchaus eine „Vorbildfunktion“.
Eltern überrascht von Taufwunsch der KInder
Die Resonanz, die der Schulpfarrer an einer Einrichtung erhält, an der fast 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler religiös nicht gebunden sind oder einer nichtchristlichen Religionsgemeinschaft angehören, spricht für sich. In der ersten Konfirmandengruppe hat Kalchreuter neun der elf, in der aktuellen Gruppe vier der acht Mädchen und Jungen auch getauft. Die Eltern hatten mit der Entscheidung ihrer Sprösslinge kein Problem – sie waren allenfalls überrascht. So wunderte sich ein Vater, wie sein Sohn überhaupt auf die Idee gekommen ist, sich konfirmieren zu lassen.
Existenzielle und religiöse Fragen sind wichtig für Schüler
Kalchreuter weiß warum. Abgesehen davon, dass in diesem Alter existenzielle und religiöse Fragen ohnehin stark im Vordergrund stünden, erzählten die in Gemeinden verorteten Jugendlichen von ihrem Konfirmandenunterricht, von Freizeiten und anderen Aktivitäten. Manche Kinder fühlten sich davon angesprochen und wollten das dann auch. Da diese Schülerinnen und Schüler von sich aus kaum in eine Gemeinde gehen würden, liege es für sie nahe, sich an ihn zu wenden. Er begleite sie schließlich vom fünften Schuljahr an und habe zu ihnen eine persönliche Beziehung aufgebaut.
Er sieht sich nicht als Konkurrenz
Der von einigen Seiten geäußerte Einwand, dass Konfirmandenunterricht ausschließlich in die Gemeinde gehöre, nimmt Kalchreuter ernst. Es fällt ihm jedoch schwer, hier ein „Konkurrenzangebot“ zu sehen. Das IGS-Projekt sei im Gegenteil eine Art „Außenposten der benachbarten Luthergemeinde“, mit der er eng zusammen arbeite und wo die Jugendlichen „offiziell und kirchenrechtlich“ registriert worden sind. Luther- und IGS-Konfirmanden bestreiten denn auch gemeinsam Freizeiten, Exkursionen, Begrüßungs- und Vorstellungsgottesdienst und natürlich die Konfirmation. Getauft hat Kalchreuter die Konfessionslosen ebenfalls in der Lutherkirche, in der die Mehrheit der IGS-Konfirmanden auch die Gottesdienste besucht.
Pfarrerin gibt Rückendeckung
Gemeindepfarrerin Melanie Lohwasser und ihr Kollege Reiner Haberstock können Kalchreuters Arbeit nur unterstützen. Nicht zuletzt weil er jene Jugendliche erreiche, die mit Kirchengemeinden ansonsten nie in Berührung kämen. Für die beiden ist es zudem spannend zu erleben, wie beeindruckt die IGS-Konfirmanden vom Kirchenraum oder Freizeitorten wie der Pfadfinderburg Rieneck sind. Einige besuchten jetzt sogar die Jugendgruppe der Luthergemeinde, weil sie die Leiterin super finden. Alles in allem begrüßt Pfarrer Haberstock das IGS-Projekt als zeitgemäßes Angebot das einer Entwicklung entgegen kommt, die er seit geraumer Zeit beobachten kann: Bei jungen Leuten wachse die Neugier auf Kirche, Ressentiments gingen dagegen deutlich zurück.
Schulpfarrer sieht Projekt als große Chance
Kalchreuter begreift die Konfirmandenarbeit an der IGS als „große Chance, Jugendliche für eine intensive Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben zu gewinnen“. Dass die Schulleitung das kirchliche Projekt als Teil der schulischen Vielfalt versteht und es in ihr Nachmittagsangebot aufgenommen hat, rechnet ihr Kalchreuter hoch an. Weil an der IGS auch Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet werden, habe ihm in der ersten Konfirmandengruppe für ein in seiner geistigen Entwicklung beeinträchtigtes Mädchen sogar eine Integrationsassistentin zur Seite gestanden. „Im regulären Konfirmandenunterricht einer Gemeinde wäre für dieses Kind die Teilnahme zumindest schwierig gewesen.“
Interessierte Jugendliche
Die Arbeit mit Jugendlichen, die durch ihre Familien „wenig oder gar keine Berührung mit Kirche und Glauben hatten“, erlebt Kalchreuter insgesamt als „sehr bereichernd“. Gleiches gilt für die Taufgespräche mit den Eltern. Dass seine Konfirmandinnen und Konfirmanden allesamt dabei geblieben sind – ein Junge wechselte nur in die Konfirmandengruppe der Luthergemeinde – lässt schließen, dass es den Jugendlichen nicht anders ergeht. Merline und Leo würden sich jedenfalls „sofort wieder konfirmieren lassen“. Zu hören, wie andere von Gott denken, frei die eigene Meinung sowie Zweifel und Kritik äußern zu können, sei ziemlich interessant gewesen.
Gegen Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen
Überzeugt, dass sich „Jesus heute auf Facebook posten“ würde, schätzen sie zudem die Realitätsnähe des Konfirmandenunterrichts. Sogar eine eigene Version des „Vater unser“ hätten sie hier geschrieben. Für Merline wäre allein wegen der Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen „katholisch nie in Frage gekommen“. Wenngleich sich Leo bislang weder mit den evangelischen Gottesdienstzeiten noch der Musik richtig anfreunden kann, weiß er doch, er hat die Wahl: „Die einen gehen zur Kirche, die anderen beten eben zuhause“.
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken