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Kein Leben ohne die Familie

Familienzusammenführung - Flüchtlinge erzählen von ihrem Leiden

Bestgreenscreen/Istock

Während Tausende von Flüchtlingen in Deutschland das Recht auf Familienzusammenführung erhielten, wird Tausenden heute noch dieses Recht verweigert. Viele warten auf einer langen Warteliste, sie warten darauf, ein Visum zu erhalten, das ihr Recht bestätigt, ihre Kinder wieder umarmen zu können. Einige von ihnen haben es satt zu warten und ziehen es vor, dorthin zurückzukehren, wo sie hergekommen sind, wo die Verwüstungen von Krieg und Armut barmherziger sind als die Verwüstungen von ungewissem Warten.

privatMahmoud al-Turk ist glücklich, dass er wieder mit seinen Kindern zusammenleben kann.

Die Rückkehr ist barmherziger als die Hölle des Wartens

Hassan, ein 32-jähriger Syrer, kam Ende 2015 mit seinem Bruder nach Deutschland. Seine Frau und seine neun Monate alte Tochter wohnten in einem Flüchtlingslager an der syrisch-türkischen Grenze. Sein Plan war es, sich allein in Gefahr zu begeben, auf dem Meer zu reiten und Europa zu erreichen. Er hoffte, dass er nach einigen Monaten seine Familie nachholen könnte. Das hatte ihm ein Freund 2014 beschrieben. Er konnte seine Familie noch im selben Jahr in die Arme schließen.

„Die Reise nach Deutschland war nicht so schwierig“, sagt Hassan. „Die Reise dauerte 15 Tage und Kriegsüberlebende bewegten sich unter der Aufsicht internationaler humanitärer Organisationen entlang der Grenze.“ Hassan besteht darauf, die Flüchtlinge als Kriegsüberlebende zu bezeichnen. „Wir haben nicht über das Überleben hinausgedacht, wir haben die Reise nicht geplant und das wahre Ziel unserer Reise nicht gekannt. Unsere größte Sorge war, der Hölle des Lebens im Lager zu entkommen, Europa zu erreichen und von vorne zu beginnen“.

Monate nach Hassans Ankunft in Deutschland erhielt er subsidiären Schutz . Er musste viele Jahre warten, bevor er seine Familie wieder treffen konnte „Das Leben ist wieder eine unerträgliche Hölle geworden“, sagte er. „Ich werde kein Deutsch lernen. Angesichts dieser Ablenkung gibt es keine Möglichkeit, sich zu konzentrieren. Die Lösung besteht darin, Geld zu verdienen, um meiner Familie im Lager zu helfen. Meine Familie besteht nicht nur aus meiner Frau und meiner Tochter. Ich habe Brüder und Schwestern, Vater und Mutter, und alle leben von einer meiner Arbeit, die bei weitem nicht ausreicht, um das Überleben zu sichern“.

Hassan begann in einem Restaurant zu arbeiten. Da die Arbeit nicht genehmigt war, wurde er vom Arbeitgeber ausgebeutet. „Ich arbeitete zwölf Stunden am Tag und verdiente nicht mehr als 3 Euro pro Stunde. Mein Leben hat sich verschlechtert. Am Morgen besuchte ich Integrationskurse als Zuhörer, ohne etwas zu verstehen. Aber ich kann mich nicht konzentrieren und nicht lernen, sondern denke nur an den nächsten Tag, an dem ich wieder arbeiten kann. Inzwischen ist meine Tochter in Syrien aufgewachsen. Meine Frau drängt von Tag zu Tag mehr, eine schnelle Lösung zu finden, da sie die Trennung nicht länger ertragen kann. Ich konnte nicht mehr geduldig warten. In einem Moment der Schwäche oder des Wahnsinns beschloss ich, zu meiner Familie zurückzukehren.“

Hassan kehrte aus Deutschland nach Griechenland zurück, passierte die Grenze in die Türkei und gelangte wieder ins Lager, um sich mit seiner Familie zu treffen. Der Ort war noch elender als er es sich erträumt hatte und auch in Deutschland ließ er einen Teil seiner Familie zurück, seinen Bruder. „Möge er sich eine gute Zukunft aufbauen, ich war nicht erfolgreich.“

Das Leben im Lager ist nicht besser als die Tage in Deutschland, da er unter großem Druck steht, seine Familie täglich mit Essen zu versorgen. „Manchmal warte ich viele Stunden, um einen Lebensmittelkorb von dieser oder jener Organisation zu bekommen, manchmal arbeite ich ununterbrochen, damit wir satt werden“, berichtet Hassan. Aber er glaubt, dass das Leben mit seiner Tochter und seiner Frau trotz der Schwierigkeiten besser ist, als allein in Deutschland auf sie zu warten. „Wer hätte mir garantieren können, dass ich meine Familie wiedersehe, wenn ich in Deutschland geblieben wäre? Ich hätte vorher sterben können“.

Leiden ist ein winziges Wort, um die Realität zu beschreiben

Bis eine Entscheidung über die Familienzusammenführung getroffen wird, verbringt der junge Mann Tarek (34) aus Syrien seine Zeit ohne Sinn für sein Leben. Er leidet unter Depressionen und permanenten Spannungen, was man an seinen zerstreuten Fragen und seiner Unruhe erkennen kann. „Leiden ist ein kleines Wort, um den Schmerz zu beschreiben, den ein Mensch empfindet, wenn er weit weg von seiner Familie leben muss“, sagt er. „Ich habe zwei Kinder, die ich in Syrien gelassen habe. Wenn ich mit ihnen telefoniere und sie mich fragen, wann wir uns treffen werden, sage ich immer – bestimmt in ein paar Tagen - heute habe ich das Gefühl, dass sie mir nicht mehr vertrauen.“

Nach seiner Ankunft in Deutschland im Jahr 2015 brachte er eine große Begeisterung mit für das Erlernen der deutschen Sprache. Es gelang ihm, ein hohes Niveau zu erreichen. Doch es war schwer, seine Familie nach Deutschland nachzuholen. Angesichts des komplexen Verfahrens der Familienzusammenführung musste er sich beeilen, eine Arbeit zu finden, damit er Geld an seine Familie in Syrien senden konnte. Heute arbeitet er bei einer Reinigungsfirma.

In Deutschland konnte Tarek keine Anerkennung für seinen Abschluss erhalten, er war Lehrer an einer Grundschule in Damaskus. „Die Anerkennung des Zeugnisses hat große Anstrengungen erfordert. Meine Energie schwindet von Tag für Tag und ich habe es nicht erreicht.“ Fünf Jahre sind vergangen und Tarek konnte seine Familie noch immer nicht treffen. Um die Hoffnung aufrechtzuerhalten, vergleicht er sich mit Menschen, die unter noch schlechteren Bedingungen leben. „Die Situation meiner Familie ist besser als die von Familien, deren Kinder infolge der Bombenangriffe während des Krieges unter den Trümmern starben“, sagte er

Ein schicksalhafter Moment, der die Realität des Lebens völlig verändert

Viele Flüchtlinge beschreiben den Moment, in dem sie ihre Familien nach Jahren der Trennung am Flughafen empfangen, als unvergesslich. Eine freudige Freude, die sie erleben, nachdem sie ihre Kinder endlich in die Arme schließen können. Es ist ein schicksalhafter Moment, der die Realität des Lebens völlig verändert, aber wieviel Leid sie erleiden, um dies zu erreichen. Es ist ein großer Moment.

Mahmoud al-Turk kam 2015 nach Deutschland, er ist Vater eines Jungen und eines Mädchens. Beide hat er bei der Mutter der Kinder zurückgelassen. Er hat als Fotograf in seiner Heimat Syrien gearbeitet und heute, fünf Jahre nachdem er seine Heimat verlassen hat, hat er keine Arbeitsmöglichkeit finden können. „Ich lerne immer noch Deutsch. Vor fast einem Jahr konnte ich meine Familie treffen. Ich begann zu spüren, dass das Leben wieder normal verläuft“, sagt er.

Die Zeit, die Mahmoud lebte, bevor er seine Familie traf, waren sehr harte Jahre mit einem enormen psychischen Druck. Angst und ständige Vorfreude wechselten sich ab. Dann wieder fehlte jede Hoffnung, die Zukunft blieb ungewiss. „In vielen Augenblicken beschloss ich, nach Syrien zurückzukehren, um meine Familie zu treffen, aber im letzten Augenblick nahm ich meine Entscheidung zurück und hoffte, dass ich ihnen eine bessere Zukunft ermöglichen könnte, wenn sie jemals in Deutschland ankommen würden.“

Wie das Leben heute nach der Ankunft seiner Familie ist, darüber spricht er: „Das Leben war radikal anders, aber die vier Jahre, die ich von meinen Kindern getrennt verbrachte, hinterließen negative Auswirkungen, die nicht einfach zu beseitigen sind. Diese vier Jahre sind meine Kinder im Schatten des Krieges aufgewachsen, sie lebten unter Belagerung und Hunger und es gab keine wirkliche Unterstützung, auch keine Hilfe bei der Erziehung und wegen meiner langen Abwesenheit fehlte der  Vater.“

Bei der Ankunft der Familie in Deutschland gab es viele Probleme, die durch die jahrelange Trennung verursacht wurden, aber zusammen haben sie die Schwierigkeiten überwunden. „Heute besuchen meine Kinder die Grundschule und meine Frau, die in Syrien krank war, hat es geschafft, sich erfolgreich einer Wirbelsäulenchirurgie zu unterziehen. Sie bereitet sich jetzt auf den Besuch von Integrationskursen vor.“

Zum Autor: Wael Deeb ist syrischer Journalist und lebt seit 2015 in Deutschland.

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