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Interview

Olympia als eine Gemeinde auf Zeit

Sotschi 2014Der Rosa Khutor Extreme ParkIm Rosa Khutor Extreme Park in Sotschi

Olympia-Pfarrer Thomas Weber ist bei den deutschen Sportlern in Sotschi vor Ort. Der EKD-Sportpfarrer begleitet die Athleten während der Winterspiele in Russland in allen Lebenslagen. Für den Gemeindepfarrer aus Westfalen sind es die fünften Olympischen Spiele. Im Interview mit der Multimediaredaktion der EKHN berichtet er von seinen ersten Eindrücken in Sotschi.

privatOlympia-Pfarrer Thomas Weber in Sotschi

Sie begleiten die Deutsche Mannschaft in Sotschi. Wie erleben Sie Olympia? 

Thomas Weber: Für alle Beteiligten ist bereits die Teilnahme an Olympia ein Höhepunkt. Wer sich als Sportler für die Olympischen Spiele qualifiziert hat, der ist ein Top-Athlet und steht unter enormem Druck. Wenn er dann vielleicht am Wettkampftag nicht seine beste Leistung abrufen kann, und hinterher in den Medien berichtet wird: „Der ist nur Fünfter geworden“, oder hat „nur“ Bronze gewonnen oder „nur auf den hinteren Plätzen gelandet“ – dann finde ich das schon sehr unbarmherzig. Das macht vielen zu schaffen und hier stehen wir Olympia-Pfarrer den Sportlern zur Seite.

Welchen Einfluss hat die Berichterstattung auf die Sportler bei den Olympischen Spielen?

Weber: Gerade die Berichterstattung macht vielen zu schaffen. Sie sagen, „wir leisten so viel für unseren Sport und wenn es im entscheidenden Moment nicht zur besten Leistung gereicht hat, werden wir auch noch so abgewertet.“ Wenn der Erfolg sich nicht einstellt, beginnen auch viele zu zweifeln. Ganz nach dem Motto: „Ich bin nichts wert, ich bin eine Niete und ich habe versagt.“ Da bin ich natürlich als Pastor gefordert zu sagen, unser Wert als Mensch hängt nicht davon ab, ob wir Gold gewinnen oder die Ergebnisliste abschließen. 

Für mich ist Olympia auch immer so eine Gemeinde auf Zeit. Und ganz viel, was ich bei meiner Gemeinde zu Hause erlebe, das spielt sich auch hier ab. 

Mit welchen Problemen kommen die Sportler denn zu Ihnen?

Weber: Ich habe einen Teil der deutschen Olympia-Kleidung, bin also als Team-Mitglied erkennbar. Wenn ich auf die Menschen zugehe und sage „Pfarrer“, dann gucken viele erstaunt. Viele stellen sich die Frage: Was macht ein Pfarrer bei Olympia? Und so kommen wir ganz schnell ins Gespräch über Gott und die Welt. Außerdem habe ich natürlich auch großes Interesse am Sport, dem Leben der Athleten und der Trainer. Vor allen Dingen merke ich, dass im Laufe der Jahre ein Vertrauensverhältnis gewachsen ist. Viele wissen, ich bin absolut verschwiegen und wer mit mir spricht, muss keine Angst haben, dass es am nächsten Tag durch die Medien geht.

Aber was beschäftigt die deutschen Athleten bei Olympia?

Weber: Die Wettkämpfer sind auf ihren Tag X, den an dem ihre Wettkämpfe auf dem Programm stehen, wirklich fokussiert. Wenn die Wettkämpfe vorüber sind, ist die Stimmung innerhalb der Mannschaft dann auch lockerer. Aber eigentlich ist immer eine sehr gute Atmosphäre im deutschen Team. Das deutsche Haus ist ja auch ein Treffpunkt, wo man ganz vielen unterschiedlichen Menschen begegnet. Ich als Pfarrer bin da tatsächlich so ein Exot. In meinen Gesprächen kommen oft Fragen wie: Geht der kirchliche Einfluss in Deutschland zurück? Was hat es mit dem Glauben auf sich? 

Aber die Sportler besprechen mit mir auch private Probleme. Etwa wenn jemand zu Hause in Deutschland eine demente Mutter hat und überlegt, ob sie in ein Heim soll. Mir begegnen Fragen rund um die Palette unseres alltäglichen Lebens.

Ein Pfarrer bei Olympia – was machen Sie da eigentlich?

Weber: Sonntags werde ich einen Gottesdienst anbieten. Dazu lade ich immer alle Teammitglieder ein. Dann werde ich wahrscheinlich unterwegs sein. Zum Beispiel werde ich mir zum ersten Mal alpines Skirennen anschauen und Maria Höfl-Riesch die Daumen drücken. Abends werde ich im deutschen Haus sein und ganz viele Gespräche führen. Außerdem frage ich auch in den olympischen Dörfern nach, ob alles in Ordnung ist. Oder ob es vielleicht Teammitglieder gibt, die Interesse haben mit mir zu sprechen, ob jemand verletzt ist oder krank.

In Peking hatte ich ein Gespräch mit einem Sportler, der sich einen Tag vor seinem Wettkampf einen Virus eingefangen hatte. In London hat er mir noch mal gesagt, wie schön er es gefunden hat, dass ich ihn besucht habe. So habe ich im Laufe der Jahre zu einigen schon eine wirklich gute Beziehung geknüpft und ich freue mich die Menschen jetzt hier wieder zu sehen. 

Wie ist es als Pfarrer bei den Olympischen Spielen dabei zu sein?

Weber: Für mich sind es mittlerweile die fünften Olympischen Spiele, meine dritten Winterspiele. Jeder Austragungsort hat so seinen eigenen Reiz und Charme und nach so vielen Jahren kenne ich zumindest den ein oder anderen. Wenn ein Sportler acht Jahre dabei ist, dann leistet er in seinem Sport wirklich Großartiges. Als Außenstehender von diesem System Hochleistungssport ist es natürlich hoch interessant auf die verschiedensten Dinge des Lebens Rede und Antwort zu stehen.

Gibt es Besonderheiten an dem Austragungsort Sotschi?

Weber: Ich vermute mal, dass es wenig internationale Besucher geben wird. Viele waren ja auch abgeschreckt vom Prozedere: Man kann nicht einfach so eine Eintrittskarte kaufen und so ohne weiteres an die Wettkampfstätten gehen. Das wird schon viele abgeschreckt haben die Reise nach Sotschi anzutreten.

Was ich von Seiten der Sportler gehört habe, ist sehr positiv: Sie sprechen von perfekten Verhältnissen, guter Unterbringung, vielen Trainigs- und Wettkampfstätten. Zwei junge Sportler haben mir erzählt, dass sie nach der negativen Berichterstattung überrascht waren, sich frei bewegen zu können. Die Sicherheitskontrollen werden von einigen als sinnvolle Maßnahme bewertet. 

Also alles nur halb so wild in Russland?

Weber: Ich habe immer den Eindruck, dass vor Beginn der Olympischen Spiele viel über das Ausrichterland gesprochen und zu Recht auch diskutiert wird. Es macht mich schon nachdenklich, wenn ich sehe, wie hier mit der Natur umgegangen wird, aber das ist eine andere Seite. Im Mittelpunkt sollten jetzt die Sportler stehen und die genießen das auch.

Also haben Sie bisher keine negativen Eindrücke gesammelt?

Weber: Ich bin zwar erst ein paar Tage hier, aber die einheimische Bevölkerung scheint stolz zu sein, die Olympischen Winterspiele ausrichten zu können. Homophobie wird nicht angesprochen und spielt auch keine Rolle. 

Wenn Sie nach Hause fahren, werden Sie ja kein Gold mit nach Hause nehmen…

Weber: Gold ist genau das Thema, das ich hier als Pfarrer bei Olympia immer wieder anspreche. Gold, Medaillen, gute Platzierungen – das wird von allen gefordert. Ich finde es wichtiger, dass die Sportler auch nach Hause fahren und sagen können: „Auch wenn es diesmal nicht gereicht hat, wir haben unsere beste Leistung abgerufen.“ Sie werden viel erlebt haben Olympia ist für jeden einzelnen ein großartiges Erlebnis. Aber das Sportlerleben geht hinterher auch ganz schnell wieder weiter.

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