Paritätischer Wohlfahrtsverband Hessen
Abschiebungen werden immer rücksichtsloser
Der Paritätische
15.07.2025
bj
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Der Paritätische Hessen appelliert an das Land, das zivilgesellschaftliche Unverständnis angesichts dieser Fälle ernst zu nehmen, anstatt sich von rechter Stimmungsmache dazu treiben zu lassen, die Zahl der Abschiebungen um jeden Preis zu steigern. „Wenn Menschen aus der Schule, Pflege, Krankenbetreuung, Kita oder dem Handwerk abgeschoben werden, ist das nicht nur eine traumatische Erfahrung und persönliche Katastrophe für die Betroffenen, sondern schadet auch dem sozialen Zusammenhalt sowie der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur”, so Lea Rosenberg, Migrations- und Flüchtlingsreferentin beim Paritätischen Hessen. Nicht nur der Paritätische Hessen, sondern Arbeitgeber*innen in allen vom eklatanten Arbeits- und Fachkräftemangel betroffenen Branchen erwarten eine Umkehr von der aktuell vorherrschenden Handlungsleitlinie „Abschiebungen first“. „Im Gegenteil fordern wir, dass Ausbildung und Arbeit unbedingt vor Abschiebungen gehen müssen – und damit stehen wir nicht allein“, betont Rosenberg.
Anders als von Minister Poseck dargestellt, sind in den meisten Fällen Abschiebungen rechtlich keinesfalls zwingend geboten. Vielmehr sieht das Gesetz für ausreisepflichtige Menschen zahlreiche Wege zu einem Bleiberecht vor. Der Paritätische widerspricht der Aussage des Innenministeriums, dass diese Regelungen zur Duldung, zum Beispiel aufgrund eines Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnisses, in Hessen umfassend zur Anwendung kommen. Ebenso wie seine in der Flüchtlingsarbeit aktiven Mitgliedsorganisationen beobachtet der Paritätische zunehmend, dass die Zentralen Ausländerbehörden die Ausstellung von Duldungspapieren verweigern oder Anträge auf Beschäftigungserlaubnisse monatelang nicht bearbeiten. „So wird ausreisepflichtigen Personen, die bereits in Ausbildung oder Arbeit sind oder ein konkretes Angebot haben, der rechtlich vorgesehene Zugang zu den Bleiberechtsregelungen verwehrt,“ so Lea Rosenberg. „Anstatt ihnen Perspektiven zu eröffnen, werden viele Betroffene erst durch solche behördlichen Entscheidungen abschiebbar gemacht – und das ergibt sich keinesfalls zwingend aus dem Gesetz.“
Gesetzlich vorgesehene Ermessenspielräume werden nach Einschätzung des Paritätischen Hessen meist nicht zugunsten von gut integrierten Menschen genutzt. Bei den meisten in den vergangenen Monaten bekannt gewordenen Abschiebungen aus Hessen hätte es rechtliche Alternativen für ein Bleiberecht gegeben. So bei Aysu, die mit Ausbildungszusage in der Pflege aus dem Landkreis Gießen nach Aserbaidschan abgeschoben wurde. Oder im Fall einer 29-jährigen Türkin, die im Februar mit ihrer siebenjährigen Tochter aus Gießen in die Türkei abgeschoben wurde, obwohl sie bereits die Zusage für einen Arbeitsplatz als Pflegehilfskraft in einer Demenz-WG in Rödgen hatte. Oder im Fall von Amira, die schon als Betreuerin in der Offenbacher Kita Krabbelstubb arbeitete, auf die offizielle Anerkennung ihres afghanischen Pädagogik-Studiums wartete und von der Kita bereits fest als Fachkraft eingeplant war. Oder im Fall von Serhat, der vor seiner Abschiebung aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf in die Türkei eine Zusage für eine Ausbildung als Maler und Lackierer hatte. Oder im Fall von Abdelkader Selmi, der sich in einer Ausbildung als Tiefbau-Facharbeiter in Frankfurt befand, als ihm die Abschiebung angedroht wurde, die nur aufgrund einer gerade noch rechtzeitig eingelegten Petition verhindert werden konnte.
In all diesen Einzelfällen haben sich Ausbildungsbetriebe und Arbeitgeber*innen, Lehrkräfte aus Schulen, Gewerkschaften, Ehrenamtliche, Vereine und Nachbar*innen entsetzt gezeigt. Der Paritätische Hessen sieht auch das hessische Integrations- und Arbeitsministerium, das Wirtschafts-, das Familien und das Kultusministerium in der Pflicht, sich dem derzeitigen Abschiebungskurs entgegenzustellen.
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