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SVR zur EU-Asylpolitik

GEAS-Reform zügig und menschenrechtskonform gemeinsam umsetzen

pixabay

Wird die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gemeinschaftlich umgesetzt oder werden die Mitgliedstaaten weiter nationale Alleingänge beschreiten? Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) bezieht in einem Positionspapier Stellung zur Umsetzung der GEAS-Reform und der aktuellen Debatte und richtet seine Empfehlungen für die EU-Legislaturperiode 2024 bis 2029 an die europäischen Institutionen und die Verantwortlichen im Bund.

„Die Europäische Union steht am Scheideweg: Wird sie den Weg zu einem solidarischen Europa beschreiten und die europäische Asylpolitik gemeinschaftlich umsetzen oder droht eine weitere Renationalisierung der Asylpolitik? Diese könnte in einem endgültigen Zerfall des GEAS münden, ein Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit der EU in diesem wichtigen Politikfeld wäre die Folge. Das birgt auch die Gefahr einer Renationalisierung in anderen Politikfeldern, der Zusammenhalt in der EU wäre gefährdet“, sagt Prof. Dr. Hans Vorländer, der Vorsitzende des SVR.

Er verweist auf die Entwicklungen der letzten Monate: „Wenn Notstandsausrufungen, Grenzkontrollen oder opt-outs im Alleingang von Mitgliedstaaten um sich greifen, kann ein Domino-Effekt eintreten.“ Der SVR rät daher dringend, die nach langem Ringen beschlossene GEAS-Reform nun rasch und konsequent gemeinschaftlich umzusetzen. Vor allem der Einstieg in eine bessere Verantwortungsteilung ist einer der grundlegenden neuen Steuerungsmechanismen und adressiert ein seit langem bestehendes Defizit. „Ein Neuverhandeln des gerade beschlossenen Migrations- und Asylpakets würde die jetzt so dringende Umsetzung weiter verzögern und wäre die schlechtere Alternative. Sie wäre ein Einschnitt von historischem Ausmaß und mit unabsehbaren Folgen“, so Prof. Vorländer.

Die Art und Weise, wie die Diskussion um diese komplexe Thematik derzeit in der EU geführt wird, ist nach Auffassung des SVR nicht hilfreich, um zu Lösungen zu gelangen. „Die Antwort auf eine schwindende Akzeptanz in der Bevölkerung ist nicht ein weiteres Schüren von Ängsten und Ablehnung gegenüber Geflüchteten. Eine Eskalationsspirale in der öffentlichen Debatte löst keine Probleme, sondern schadet vielmehr dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ein ‚Wettbewerb‘ zwischen den Mitgliedstaaten um die härtesten Maßnahmen ist kein konstruktiver Beitrag zu gemeinsamen Lösungen“, so Vorländer.

„Das so schlichte wie grundlegende Ziel ist eine möglichst nachhaltige Migrationssteuerung bei Einhaltung gemeinsamen Rechts. Denn eine nachhaltige Migrationssteuerung in Europa, vor allem im Bereich Asyl, ist nur koordiniert möglich, nationale Maßnahmen reichen hier nicht. Es steht viel auf dem Spiel: die flüchtlings- und menschenrechtliche und humanitäre Verantwortung Europas gegenüber Schutzsuchenden ebenso wie zentrale Säulen der europäischen Integration wie Rechtsstaatlichkeit, Freizügigkeit und Solidarität“, resümiert der SVR-Vorsitzende das Positionspapier des Sachverständigenrats.

Der SVR sieht bei der schnellen und umfassenden Umsetzung des Reformpakets vorrangig die Mitgliedstaaten am Zug, hier gehe Deutschland mit gutem Beispiel voran, wo das Bundeskabinett bereits einen Entwurf verabschiedet hat. Dazu erklärt der SVR-Vorsitzende: „Die Umsetzung in Deutschland und den übrigen Mitgliedstaaten muss ausgewogen und umfassend erfolgen. Problematisch wäre eine Rosinenpickerei, bei der Staaten vorrangig restriktive Elemente umsetzen und rechtliche Spielräume in restriktiver Richtung überdehnen, die Schutz- und Verfahrensgarantien für die von den Regelungen betroffenen Personen dagegen vernachlässigen. Der neuen EU-Kommission empfiehlt der SVR, den Umsetzungsprozess und die Herausforderungen und Interessenskonflikte, die dabei unweigerlich entstehen, mit einer starken und integrativen Verhandlungsführung zu begleiten und Rechtsverstöße konsequenter als bisher zu sanktionieren.   

Skeptisch beurteilt der SVR das auf europäischer Ebene wie in Deutschland diskutierte Auslagern von Asyl- und Rückkehrverfahren an Drittstaaten. „Hier sprechen deutlich mehr Argumente gegen als für die Auslagerungsidee. Die bisherigen Vorschläge werfen erhebliche juristische, politische und operative Fragen auf“, sagt Prof. Vorländer. „So ist das in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerte Prinzip der Nichtzurückweisung, das Non-Refoulement-Gebot, zu beachten. Auch eine kollektive Ausweisung darf es nicht geben. Hier gibt es völkerrechtliche Verpflichtungen, die wahrgenommen werden müssen. Eine reine Auslagerung von Verfahren und Schutzgewährung würde zudem die Glaubwürdigkeit der EU in Fragen der Menschen- und Flüchtlingsrechte nachhaltig erschüttern. Wenn sich die EU vom internationalen Flüchtlingsschutz abwendet, wird es künftig deutlich schwerer werden, andere Staaten dazu zu motivieren, ihren Beitrag zu leisten.“

Stattdessen empfiehlt der SVR mehr und bessere Migrationsabkommen. Das Mittel der Wahl hierfür ist eine partnerschaftliche Migrationspolitik, die eine Balance zwischen Migrationskontrolle und Zuwanderungsmöglichkeiten finden muss und sich mit den jeweiligen Interessen der Partnerländer auseinandersetzt. „Eine verbesserte Kooperation im Bereich der Migrationssteuerung und der Rückkehrpolitik muss daher flankiert werden durch eine Öffnung regulärer Zugangswege im Bereich der Arbeitsmigration und Migration zum Zweck der Aus- und Weiterbildung“, so der SVR-Vorsitzende.

Das Positionspapier „Solidarität und Rechtsstaatlichkeit stärken: Die gemeinsame Asylpolitik umsetzen und die Debatte versachlichen“ kann hier heruntergeladen werden.

Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Hans Vorländer (Vorsitzender), Prof. Dr. Birgit Leyendecker (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin, Prof. Dr. Birgit Glorius, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Winfried Kluth, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex, Ph.D., Prof. Panu Poutvaara, Ph.D.

 

 

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