Buß- und Bettag
Besser beichten
Bowie15/istockphoto.com19.11.2014 esz Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Von Martin Vorländer (Evangelische Sonntags-Zeitung)
Das ganze Leben der Glaubenden sei Buße, heißt prominent die erste der 95 Thesen von Martin Luther. Beichte und Buße haben einen hohen Stellenwert in der evangelischen Kirche. Theoretisch. Praktisch kommen sie kaum vor. Protestanten verfallen gerne von einem Extrem ins andere.
Entweder ist das ganze Leben Buße. Das kann zu einer ewig sündenzerknirschten Lebenshaltung führen. Das Bewusstsein der eigenen Unwürdigkeit ist einem in die Gesichtszüge geschrieben, wie in moralischen Marmor gemeißelt. Von Freude über Erlösung von Sünden keine Spur.
Oder die andere Variante: Wenn sowieso alles Buße ist, kann man es dabei bewenden lassen und braucht keine besondere Form der Beichte. Wer sich eine Last von der Seele reden möchte, dem bleibt das allgemeine Sündenbekenntnis und der Gnadenzuspruch im Gottesdienst. In solcher Allgemeinheit geht die Not des Einzelnen leicht unter.
Evangelische Kirche bereut Abschaffung von Buß- und Bettag
Mit dieser Unentschiedenheit hat die evangelische Kirche agiert, als 1994 beschlossen wurde, den Buß- und Bettag als gesetzlichen Feiertag für die Finanzierung der Pflegeversicherung zu opfern. Im Vorfeld hat sie den Mund nicht recht aufgetan. Als es zu spät war, setzte der Katzenjammer ein. Seit 20 Jahren gehört es zum guten protestantischen Ton, zum Buß- und Bettag seine Abschaffung als Feiertag zu beklagen.
Streichen des Feiertags hat finanziell nichts gebracht
Wer den Buß- und Bettag als Feiertag wiederhaben will, braucht Argumente. Die gibt es. Zum einen die nüchterne Bilanz: Das Streichen des Feiertags hat der Gesellschaft finanziell nichts gebracht. Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung wurde trotzdem erhöht. Er hat sich seither verdoppelt auf derzeit 2,05 Prozent des versicherungspflichtigen Einkommens. Diese Erfahrung hilft dem Buß- und Bettag im Nachhinein wenig. Sie ist aber eine Warnung, falls wieder bedeutsame Feiertage zur ökonomischen Verschiebemasse erklärt werden.
Feiertage kommen allen zugute
Feiertage kommen nicht allein Christenmenschen zugute. Sie sind ein Kulturgut für alle Bürgerinnen und Bürger. Schuld nicht eingestehen zu können, blockiert. Verschweigen, herumreden, Ausflüchte suchen, die Verantwortung auf andere abschieben, vergiftet das Zusammenleben. Im Privaten und in der Gesellschaft.
Beichte per App
Wir alle haben jeden Tag Gedanken und Gefühle, für die es keinen Ort gibt“, sagt Chrys Bader, Unternehmensgründer in den USA. Er hat die Marktlücke Beichte erkannt und die App „Secret“ entwickelt, eine Anwendungsfunktion für Smartphones. Darüber kann man angeblich anonym schreiben, was man sich sonst nicht zu sagen traut. Die Beichte können alle aus dem Adressbuch des Handybesitzers lesen und Kommentare abgeben.
Das Geschäftsmodell ist fragwürdig, der Grundgedanke erhellend. Es braucht Orte, um sich auszusprechen und Zuspruch zu erfahren. Wer den Buß- und Bettag hochhält, sollte das nicht nur theoretisch tun.
Buße kommt von Besserung
Luther erkannte: Der Mensch ist „simul iustus et peccator“, also gleichzeitig gerecht und Sünder. Die evangelische Beichte wäre ein frustrierendes Auf-der-Stelle-Treten, wenn sie beim Sündersein verharrte. Nach Selbsterkenntnis und Bekenntnis kommt der zweite Schritt, der Zuspruch: „Du bist nicht verdammt, so zu bleiben, wie du bist. Du darfst ein anderer werden.“ Buße kommt von Besserung.
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